Betriebsrat kann die Liste schwerbehinderter und gleichgestellter Arbeitnehmer und leitender Angestellten verlangen (BAG, Beschluss vom 09.05.2023 - 1 ABR 14/22)

Die kürzlich ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 09.05.2023 - 1 ABR 14/22) die für Arbeitgeber, in dessen Betrieben ein Betriebsrat konstituiert ist, kann zu erheblichen Auswirkungen in der Zukunft führen.

I. Auskunftsanspruch des Betriebsrats

Der Betriebsrat eines Entsorgungsdienstleisters wollte sicherstellen, dass dieser seine diversen Pflichten gegenüber schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Arbeitnehmern[1] im Unternehmen erfüllt. Zu diesem Zwecke verlangte der Betriebsrat vom Arbeitgeber, ihm ein Verzeichnis über alle im Betrieb und Unternehmen beschäftigten schwerbehinderten und diesen gleichgestellten behinderten Menschen zu übermitteln. Um eventuelle datenschutzrechtliche Bedenken des Arbeitgebers auszuräumen, hatte der Betriebsrat bereits im Vorfeld ein umfangreiches Datenschutzkonzept zur Wahrung der Vertraulichkeit personenbezogener Daten ausgearbeitet.

Ungeachtet dessen verweigerte der Arbeitgeber die Herausgabe der Informationen und begnügte sich mit der Auskunft, der Schwellenwert für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung im Betrieb sei erreicht.

II. Beschluss- und Beschwerdeverfahren

Dies veranlasste den Betriebsrat, sein Auskunftsersuchen im Wege eines Beschlussverfahrens gerichtlich geltend zu machen.

Die ersten zwei Instanzen gaben dem Antrag des Betriebsrats vollumfänglich statt, worauf der Arbeitgeber Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht einlegte.

Die Rechtsbeschwerde hatte bis auf einen Nebenantrag keinen Erfolg. Vielmehr gab das BAG dem Auskunftsverlangen des Betriebsrats endgültig statt, mit nachfolgender Argumentation:

III. Förderpflicht zugunsten schwerbehinderter bzw. gleichgestellter Menschen

Das BAG erkannte an, dass der Betriebsrat nicht nur die Aufgabe habe, nach § 176 Satz 2 Halbsatz 2 SGB IX auf die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung hinzuwirken. Vielmehr habe er sowohl nach § 80 Absatz 1 Nr. 4 BetrVG als auch nach § 176 Satz 1 SGB IX die Aufgabe, die Eingliederung schwerbehinderter bzw. gleichgestellter Menschen zu fördern. Diese einheitliche Förderpflicht sei durch die in § 176 Satz 2 SGB IX genannten Aufgaben lediglich konkretisiert, gehe aber über diese Aufzählung hinaus. Insbesondere habe der Betriebsrat darauf zu achten, dass die dem Arbeitgeber nach §§ 154, 155 und §§ 164 bis 167 SGB IX obliegenden Verpflichtungen zugunsten schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen erfüllt werden.

Im Rahmen dessen solle der Betriebsrat – bereits präventiv und nicht erst im Streitfall – überwachen, ob der Arbeitgeber z. B. die Arbeitsplätze der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen behinderungsgerecht eingerichtet und mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen ausgestattet hat oder ob der Arbeitgeber – sofern eine kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist – eine Teilzeitbeschäftigung ermöglicht.

Um seine umfassenden Kontrollaufgaben erfüllen zu können, stehe dem Betriebsrat ein Auskunftsanspruch über die Namen der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Halbsatz 1 BetrVG zu.

IV. Zuständigkeit auch für leitende Angestellten

Das BAG befasste sich ferner mit der Frage, ob der Betriebsrat in diesem Fall auch für leitende Angestellte zuständig ist, auch wenn diese keine Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG sind und daher grundsätzlich von seiner Zuständigkeit ausgenommen sind. Dies bestätigte das BAG unter Verweis auf die Pflicht des Betriebsrats aus § 176 SGB IX, die Eingliederung schwerbehinderter „Menschen“ zu fördern. Sowohl die Entstehungsgeschichte der Vorschrift als auch deren Sinn und Zweck sprächen dafür, so das BAG, dass der Gesetzgeber einen möglichst umfassenden und lückenlosen Schutz der schwerbehinderten Menschen im Betrieb bezwecke. Insbesondere sei die Schutzbedürftigkeit dieser Personen ausschließlich auf ihre besonderen Bedürfnisse zurückzuführen; ihre jeweilige Stellung und Befugnissen im Betrieb oder Unternehmen spielten hingegen keine Rolle in diesem Zusammenhang.

V. Datenschutzrechtliche Zulässigkeit

Das BAG hielt schließlich fest, dass die Weitergabe der Daten an den Betriebsrat nach § 26 Absatz 3 und § 22 Absatz 2 Bundesdatenschutzgesetz („BDSG“) grundsätzlich datenschutzrechtlich zulässig ist.

VI. Umfassendes Datenschutzkonzept

Zudem würdigte das BAG das von dem Betriebsrat erstellte Datenschutzkonzept und befand dieses als ausreichend.

Im konkreten Fall hatte der Betriebsrat festgelegt, dass nur der Betriebsratsvorsitzende oder – im Verhinderungsfall – seine Stellvertretung befugt war, personenbezogene Daten auf Papier entgegenzunehmen. Für die elektronische Übermittlung sollte ausschließlich ein vorher bestimmtes E-Mail-Postfach verwendet werden. Der Abruf der Daten erfolgte über einen im Betriebsratsbüro befindlichen passwortgeschützten Computer. Das Passwort war lediglich den Mitgliedern des Gremiums bekannt und nur diese hatten auch Zugang zu dem abschließbaren Büro. Etwaige personenbezogene Daten in Papierform wurden dort in einem verschlossenen Schrank verwahrt, dessen Schlüssel nur dem Betriebsratsvorsitzenden oder seinem Stellvertreter zur Verfügung stand. Eine Übertragung personenbezogener Daten auf mobile Datenträger war nicht grundsätzlich untersagt, jedoch erforderte die – nur unter näher bestimmten Voraussetzungen zu erteilende – vorherige Zustimmung des Vorsitzenden bzw. seiner Stellvertretung. Die Daten sollten bloß so lange gespeichert werden, wie es der Zweck der Verarbeitung erfordert. Alle sechs Monate sollte zudem überprüft werden, ob die gespeicherten Daten noch benötigt wurden - andernfalls waren sie umgehend zu löschen. Abschließend sah das Konzept Vorgaben zur Sensibilisierung der Gremienmitglieder durch Hinweise auf den Datenschutz vor.

Fazit:

Es ist davon auszugehen, dass in der Zukunft Betriebsräte unter Berufung auf die hier besprochene Entscheidung Auskunftsansprüche in Bezug auf schwerbehinderte und diesen gleichgestellten behinderte Arbeitnehmer im Betrieb geltend machen werden. Die Entscheidung stellt jedoch keinen Freibrief aus bzw., gewährt den Betriebsräten nicht per se und ohne weitere Voraussetzungen einen Auskunftsanspruch. Vielmehr wird dieser nur bestehen, wenn der Betriebsrat mit dem Auskunftsverlangen ein umfassendes Datenschutzkonzept vorlegt, das dem berechtigten Interesse der betroffenen Arbeitnehmer im Umgang mit sensiblen personenbezogenen Daten gerecht wird.

Unser Arbeitsrechtsteam steht Ihnen für alle Fragen rund um das Thema Auskunftsansprüche und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung in Ihrem Unternehmen gerne zur Verfügung.

 

 

 

 

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