Bundesarbeitsgericht verpflichtet Arbeitgeber zur Einführung von Zeiterfassungssystemen

Bereits Mitte September 2022 war von einem Paukenschlag des Bundesarbeitsgerichts (nachfolgend: „BAG“) in Erfurt gesprochen worden, als die Pressemitteilung zu der Entscheidung in dem Verfahren 1 ABR 22/21 veröffentlicht wurde. Aus den dortigen Ausführungen wurde – in Unkenntnis der Entscheidungsgründe des Gerichts – vielfach angenommen, es bestehe eine unmittelbare Pflicht von Arbeitgebern Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Am Freitag, den 03.12.2022, hat das BAG nunmehr die lang ersehnten Entscheidungsgründe veröffentlicht. Und es lässt sich festhalten: in der Tat sind Arbeitgeber unmittelbar verpflichtet, ein Arbeitszeitsystem bereitzustellen und die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer  zu erfassen. Wichtig ist aber auch, dass Betriebsräten kein Initiativrecht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems zusteht. Mit diesem Newsletter möchten wir Sie darüber informieren, was das BAG genau entschieden hat und welche ToDos sich hieraus für Arbeitgeber ergeben.

I. Entscheidung des BAG vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21

Die Beteiligten des Verfahrens stritten darüber, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zusteht. Die Arbeitgeberinnen betreiben eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb. Dort ist der antragstellende Betriebsrat gebildet.

Die Betriebsparteien schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit („BV Clinic Planner“). Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Ende Mai 2018 entschieden die Arbeitgeberinnen, kein elektronisches Zeiterfassungssystem im Betrieb einzuführen.

Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Die Arbeitgeberinnen rügten deren Zuständigkeit.

In dem daraufhin vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren hat er die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zu. Die Verwendung eines solchen Systems liege im Interesse der Arbeitnehmer, insbesondere diene es dem Gesundheitsschutz. Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Betriebsrats hin stattgegeben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehren die Arbeitgeberinnen, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Das BAG entschied, dass die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen Erfolg hat. Das Landesarbeitsgericht habe der Beschwerde des Betriebs-rats gegen die antragsabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts zu Unrecht stattgegeben. Dem Betriebsrat stehe das begehrte Initiativrecht nicht zu.

Die wesentliche Aussage des BAG folgt sodann aber in den Entscheidungsgründen, da Arbeitgeber danach dennoch verpflichtet seien, ein Zeiterfassungssystem einzuführen.

Hierzu im Einzelnen:

Dem vom Betriebsrat begehrten Initiativrecht stehe § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG entgegen, da ein Initiativrecht ausscheide, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt ist.

Dies sei vorliegend der Fall, da Arbeitgeber schon kraft Gesetzes verpflichtet seien, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden erfasst werden. Diese gesetzliche Pflicht folge aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Nach dieser Rahmenvorschrift habe der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 ArbSchG unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und die „erforderlichen Mittel“ bereitzustellen. Bei unionsrechtskonformem Verständnis beinhalte die gesetzliche Regelung auch die - grundsätzliche - Verpflichtung der Arbeitgeberinnen, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst.

Dabei besteht - solange vom Gesetzgeber (noch) keine konkretisierenden Regelungen getroffen wurden - ein Spielraum, in dessen Rahmen u.a. die „Form“ dieses Systems festzulegen ist (so bereits EuGH 14. Mai 2019 - C-55/18 - [CCOO] Rn. 63).

Das BAG stellt ferner klar, dass Leitende Angestellte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind. Schließlich stellt das BAG klar, dass dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems zusteht. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber über das „Ob“ der Einführung selbst entscheiden können (auch wenn sie nach der hier besprochenen Entscheidung dazu ja gesetzlich verpflichtet sind!), der Betriebsrat über das „Wie“ aber zu beteiligen ist.

II. Vertrauensarbeitszeit adé?

Bedeutet dies, dass Vertrauensarbeitszeit zukünftig nicht mehr möglich ist? Dies ist unseres Erachtens differenziert zu sehen: Weiterhin möglich ist es Arbeitnehmer selbstbestimmt mit freier eigener Planung der Zeit einzusetzen. Ein Arbeiten ohne Zeiterfassung ist aber nicht mehr zulässig.

III. Aktuelle ToDos für Arbeitgeber

Auf Basis der hier besprochenen Entscheidung sollten Arbeitgeber nun Folgendes tun bzw. prüfen:

  • Einrichtung und Schaffung eines Zeiterfassungssystems, dass Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit erfasst bzw. Überprüfung, ob das bestehende System dies gewährleistet.
  • Bei mitbestimmten Betrieben ist der Betriebsrat im Hinblick auf die Ausgestaltung zu beteiligen.

IV. Rechtsfolge bei Verstößen gegen Verpflichtung zur Einführung eines Zeiterfassungssystems

Beruhigend ist, dass bei Verstößen gegen die vom BAG dargestellte Pflicht keine unmittelbaren Konsequenzen drohen. Das BAG stützt die Pflicht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems auf § 3 ArbSchG. Verstöße hiergegen sind nach § 25 ArbSchG nicht per se bußgeldbewehrt, sondern bedürfen zunächst einer konkreten Anordnung durch die Arbeitsschutzbehörde.

Wie Sie den vorstehenden Ausführungen entnehmen können, sollten Arbeitgeber möglichst zeitnah mit der Einführung eines Zeiterfassungssystems beginnen, wenn ein solches noch nicht existiert. Gerne sind wir Ihnen bei der Bewertung Ihrer aktuellen Systeme oder der Gestaltung eines solchen behilflich.

Ob die Entscheidung des BAG das letzte Wort in der Diskussion um die Verpflichtung zur Bereitstellung von Zeiterfassungssystemen ist, bleibt abzuwarten. Der Gesetzgeber kann insbesondere in Zukunft bestimmte Gruppen von der Verpflichtung ausnehmen oder Einschränkungen bei der Zeiterfassungspflicht nach Größe und Eigenart von Unternehmen vornehmen. Wir werden etwaige Gesetzgebungsaktivitäten für Sie selbstverständlich beobachten.

Wir wünschen Ihnen eine weiterhin frohe und besinnliche Adventszeit und verbleiben mit besten Grüßen aus Heidelberg

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