Neues vom BAG zur (Un-)wirksamkeit von Zielvereinbarungsklauseln (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.07.2024 - 10 AZR 171/23)
Heute möchten wir Sie über eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 03.07.2024 - 10 AZR 171/23) informieren, die für die meisten Arbeitgeber von erheblicher praktischer und wirtschaftlicher Bedeutung sein dürfte:
I. Hintergrund
Die Vereinbarung variabler Vergütungen ermöglicht es Arbeitgebern, Arbeitnehmer durch zusätzliche Vergütung in Form von Tantiemen- oder Bonuszahlungen Anreize zu schaffen.
Gängig sind Klauseln, die eine Zielvereinbarung vorsehen, die den Arbeitgeber aber bei Scheitern berechtigen, Ziele einseitig nach billigem Ermessen festzulegen.
Eine solche Regelung wurde im hier besprochenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf den Prüfstand gestellt.
II. Entscheidung der Instanzgerichte
Gegenstand des Rechtsstreits zwischen dem Arbeitnehmer und seiner Arbeitgeberin, einer Schiffsholding, war die Wirksamkeit der vereinbarten Handhabung variabler Vergütungen. Der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien vom Februar 2020 sah die Zahlung einer Tantieme vor, deren Höhe abhängig vom Erreichen von Zielvorgaben sein sollte, "deren drei wesentliche Kriterien jedes Jahr, erstmals zum Ende der Probezeit, zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden". Für den Fall, dass keine Zielvereinbarung geschlossen werden kann, sah der Arbeitsvertrag Folgendes vor: „Sollten die drei Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben."
Nach Ablauf der dreimonatigen Probezeit forderte der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin – vergeblich – dazu auf, mit ihm über die Zielvereinbarung zu verhandeln. Die Letztere ließ ihm ihre Zielvorstellungen zukommen, die der Arbeitnehmer jedoch als unangemessen zurückwies. Seinen Gegenvorschlag lehnte die Arbeitgeberin ebenfalls ab und legte dann – unter Berufung auf die vorstehende Regelung – Ziele nach ihrem Ermessen einseitig fest.
Zum 31.12.2020 kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis und erhob anschließend Klage auf Schadensersatz, da ihm die – nunmehr ehemalige – Arbeitgeberin für das Jahr 2020 Tantiemen in Höhe von ca. EUR 97.000,00 vorenthalten hätte.
Das Arbeitsgericht Hamburg gab dem Klagebegehren vollständig statt. Das Landesarbeitsgericht Hamburg wies zwar einen Teil der Klage in Höhe von EUR 14.000,00 ab, sprach aber dem Kläger im Übrigen den begehrten Schadensersatz zu.
Gegen diese Entscheidung legte die beklagte Arbeitgeberin Revision ein.
III. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht verwarf die Revision der Beklagten als unbegründet.
Das Bundesarbeitsgericht hält fest, dass die Beklagte in voller Höhe schadensersatzpflichtig war. Sie habe es schuldhaft versäumt, mit dem klagenden Arbeitnehmer eine Einigung über eine Zielvereinbarung zu erzielen.
Die Beklagte sei – trotz einer entsprechenden Regelung im Arbeitsvertrag – insbesondere nicht dazu berechtigt gewesen, dem Kläger einseitig Ziele vorzugeben. Die entsprechende arbeitsvertragliche Regelung stelle eine unangemessene Benachteiligung für den Arbeitnehmer dar und sei gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unwirksam.
Die unangemessene Benachteiligung begründete das Bundesarbeitsgericht wie folgt:
Zum einen könne die Arbeitgeberin die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe einseitig unterlaufen, da die streitgegenständliche Klausel es ihr praktisch immer ermöglicht, die Ziele im Ergebnis einseitig vorzugeben. So könne die Arbeitgeberin die Verhandlungen über eine Zielvereinbarung einfach grundlos verweigern oder abbrechen, um die erforderliche Konkretisierung und Gewichtung der zu erreichenden Ziele anschließend einseitig vorzunehmen.
Zudem halte eine solche Regelung den Arbeitnehmer davon ab, die Ziele frei auszuhandeln, denn er sähe sich immer in der Gefahr, dass die Arbeitgeberin die Verhandlungen grundlos abbreche bzw. für gescheitert erkläre. So erzeuge die Regelung bereits im Vorfeld einen unangemessenen Druck auf den Arbeitnehmer, die Vorschläge der Arbeitgeberin für eine Zielvereinbarung auch dann zu akzeptieren, wenn die eigenen Vorstellungen davon abweichen.
Nach alledem wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, mit dem Kläger weitere Verhandlungen über eine Zielvereinbarung zu führen und eine solche abzuschließen. Sie hätte gerade nicht – auch nicht aufgrund der angeblich gescheiterten Verhandlung – die Ziele einseitig vorgeben dürfen.
Diese Pflichten aus dem Arbeitsvertrag habe die Beklagte schuldhaft verletzt, weswegen sie sich schadensersatzpflichtig mache. Bei der Bemessung des Schadensersatzanspruches sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen.
IV. Praktische Bedeutung
Das Bundesarbeitsgericht stellt sehr hohe Anforderungen an die Pflicht des Arbeitgebers zur Verhandlung über eine Zielvereinbarung auf, die in der Praxis oftmals nur schwer erreichbar sein dürften. Es ist daher ratsam, für die Zukunft die weit verbreitete Klausel nicht weiter zu verwenden und stattdessen lediglich auf Zielvorgabeklauseln setzen.
In Alt-Verträgen sollten die Zielvereinbarungsklauseln bei Gelegenheit entsprechend abgeändert werden.
Sprechen Sie uns gerne an! Unser Arbeitsrechtsteam steht Ihnen für alle Fragen rund um das Thema rechtssichere Gestaltung von Bonus- und Tantiemeregelungen gerne zur Verfügung.