Sonderzahlungen auf Mindestlohn anrechenbar - erste BAG-Entscheidung zur Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns

Liebe Leserin,
lieber Leser,

in unserem Newsletter Februar 2016 hatten wir Sie über eine aktuelle Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg zur Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn informiert. Hintergrund der damaligen und nun vom BAG in der Revision entschiedenen Falles war folgender Sachverhalt:

Die Klägerin war Arbeitnehmerin mit einem arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenlohn von weniger als 8,50 EUR brutto pro Stunde. Im Betrieb des beklagten Unternehmens gibt es eine Vielzahl von Arbeitnehmern, einschließlich der Klägerin, mit denen arbeitsvertraglich vereinbart ist, dass diese zweimal jährlich eine Sonderzahlung in Höhe eines halben Monatslohns erhalten. 

Hierzu haben der beklagte Arbeitgeber und der im Betrieb bestehende Betriebsrat vereinbart, diese Sonderzahlungen auf alle 12 Monate zu verteilen sind, d.h. dass jeden Monat ein Zwölftel der Sonderzahlung auszuzahlen ist. Mit dieser zusätzlichen anteiligen Sonderzahlung betrug der Stundenlohn der Klägerin mehr als 8,50 EUR. Daneben sind arbeitsvertragliche Überstunden-, Sonn- und Feiertags- sowie Nachtzuschläge vorgesehen, die der beklagte Arbeitgeber weiterhin auf der Grundlage des vereinbarten Stundenlohnes von weniger als 8,50 EUR berechnete.

Hiergegen hat sich die Klägerin gewandt und geltend gemacht, dass ihr die Sonderzahlungen zusätzlich zu einem Stundenlohn von 8,50 EUR zustünden. Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 EUR sei ferner bei der Berechnung der Zuschläge zugrunde zu legen. 

Der beklagte Arbeitgeber war der Auffassung, dass die Sonderzahlung nicht zusätzlich zum Mindestlohn anfällt, sondern mit diesem zu verrechnen sei. 

Das BAG hat nun die Entscheidung des Berufungsgerichtes bestätigt und ausgeführt, dass die Klägerin aufgrund des Mindestlohngesetzes keinen Anspruch auf ein erhöhtes Monatsgehalt, erhöhte Jahressonderzahlungen sowie erhöhte Lohnzuschläge hat. Der gesetzliche Mindestlohn trete als eigenständiger Anspruch neben den bisherigen Anspruchsgrundlagen, verändere diese aber nicht. Der nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch der Klägerin für den Zeitraum Januar bis November 2015 sei erfüllt, denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen komme Erfüllungswirkung zu. Über die Nacharbeitszuschläge, die das Berufungsgericht bereits zugesprochen hatte, wurde in der Revisionsinstanz nicht mehr gestritten. Diese sind auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen. 

Praxistipp

Auch wenn das BAG die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt und eine Anrechnungswirkung in diesem Fall für gegeben hält, bleibt zu beachten, dass nicht jede Sonderzahlung, die monatlich ausgezahlt wird, auf den Mindestlohn anzurechnen ist. Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit darin, dass die Sonderzahlungen an keine weiteren Voraussetzungen gebunden waren. Der Mindestlohn diente lediglich der Vergütung der "Normal"leistung. Es kommt also, auch nachdem nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt, darauf an, ob eine Leistung im konkreten Fall das vergütet, was der Arbeitnehmer "normalerweise" tun muss oder ob eine Zahlung für überobligatorische Leistungen oder zu einem sonstigen Zweck (z. B. Betriebstreue) erfolgt. Es ist also zu prüfen, welchem Zweck die Sonderzahlung dienen soll und ob sie von weiteren Voraussetzungen abhängt. Falls dem so ist, wir eine Jahressonderzahlung in der Regel nicht auf den Mindestlohn anzurechnen sein. Es kommt damit - wie so oft - auf die "richtige Formulierung" im Arbeitsvertrag oder der Betriebsvereinbarung an!

Wir beraten Sie gerne.

Mit besten Grüßen aus Heidelberg

Ihr Arbeitsrechtsteam
Tiefenbacher

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