Zulassungsverzicht zugunsten der Anstellung - Änderung der Rechtspraxis aufgrund eines aktuellen Urteils des Bundessozialgerichts

Der 6. Senat des Bundessozialgerichtes hat in einem Urteil vom 04.05.2016, Az. B 6 KA 21/15 R, die Handlungsmöglichkeiten für die Nachbesetzung einer Stelle im MVZ erheblich eingeschränkt. 

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein HNO-Arzt auf seine Vollzulassung in einem gesperrten Planungsbereich verzichtet, um sich beim klagenden MVZ im Umfang einer 3/4 Stelle anstellen zu lassen. Das MVZ beantragte nach Beendigung der Beschäftigung des Arztes Anstellungsgenehmigungen für zwei Ärzte jeweils mit einer 1/4 und einer 3/4 Stelle. Der Zulassungsausschuss hat die Anstellungen nur im Umfang von 30 Wochenstunden genehmigt und darauf verwiesen, dass der Arzt nach Verzicht auf seine Zulassung im Rahmen des Anstellungsverhältnisses mindestens noch ein Quartal mit wenigstens 31 Wochenstunden beschäftigt sein müsse, um den Bedarfsplanungsanrechnungsfaktor von 1,0 aufrechterhalten zu können. Da der Arzt vorliegend nur mit 23,5 h angestellt gewesen sei und dies einem Bedarfsplanungsanrechnungsfaktor von 0,75 entspräche, könne auch die Nachbesetzung nur in diesem Umfang, d. h. bis max. 30 Wochenstunden, und somit im Umfang einer 3/4 Stelle erfolgen. Sowohl im Berufungsausschuss als auch im gerichtlichen Verfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht ist die Entscheidung bestätigt worden. 

Das Bundessozialgericht hat am 04.05.2016 die Revision des MVZ zurückgewiesen und ebenfalls das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichtes bestätigt.

Darüber hinausgehend stellte das Bundessozialgericht für die Zukunft klar, dass im Falle des Zulassungsverzichts des niedergelassenen Vertragsarztes zugunsten einer Anstellung in einem MVZ sich die zu fordernde Absicht, im MVZ tätig zu werden, grundsätzlich auf eine Tätigkeitsdauer von drei Jahren beziehen muss, wobei eine schrittweise Reduzierung des Tätigkeitsumfangs um eine 1/4 Stelle in Abständen von einem Jahr unschädlich ist. Bereits bestandskräftig erteilte Anstellungsgenehmigungen bleiben davon unberührt und können auch Grundlage einer späteren Stellennachbesetzung werden. Somit kann nach Ansicht des BGB die Nachbesetzung der Stelle in einem MVZ nur dann und nur insoweit erfolgen, wie der Vertragsarzt tatsächlich als angestellter Arzt im MVZ tätig geworden ist. Mit dieser Vorgabe soll verhindert werden, dass die Entscheidungen, die die Zulassungsgremien bei der Nachbesetzung im Falle der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu treffen haben, umgangen werden, indem ein Arzt zwar zunächst erklärt, auf seine Zulassung zu verzichten, um in einem MVZ tätig zu werden, die Tätigkeit dort tatsächlich aber nicht antritt und somit dem MVZ sogleich die "Nachbesetzung" durch einen selbst gewählten Angestellten ermöglicht. 

Eine vollständige Urteilsabfassung mit den Gründen ist bislang nicht veröffentlicht. Allerdings wird man davon ausgehen können, dass diese Klarstellung nicht nur MVZ betreffen wird, sondern auch anstellende Vertragsärzte.

Die Entscheidung des BSG ist, da kein Rechtsmittel mehr offen steht, rechtskräftig. Allerdings hat das klagende MVZ noch die Möglichkeit, bei Begründung einer Grundrechtsverletzung das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Da die Regelung allerdings nur für die Zukunft gelten soll, ist fraglich, ob das MVZ im Sinne einer Verfassungsbeschwerde ausreichend belastet ist. 

Der Gesetzgeber hat bislang die weitere Tätigkeitsdauer des Vertragsarztes im MV nicht gesetzlich geregelt. Die Zulassungsausschüsse sind im Rahmen einer sich entwickelnden einheitlichen Verwaltungspraxis bislang von einer Fortdauer von mind. 3 - 6 Monaten ausgegangen. Nun gilt es, ggf. auch seitens der Verbände und Interessenvertretungen, für eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber Sorge zu tragen. Schließlich entstehen im Zusammenhang mit der vom BSG geforderten Verwaltungspraxis auch eine Reihe weiterer rechtlicher Probleme. Zum einen kann die Dauer der Tätigkeit für drei Jahre unabhängig von weiteren Einflüssen kaum erzwungen werden. So kommt beispielsweise eine Auflösung des Angestelltenverhältnisses aufgrund einer bestehenden Krankheit, dem Vorliegen außerordentlicher Kündigungsgründe oder anderer sonstiger wesentlicher Umstände in Betracht. Folglich kann sich die Anforderung ggf. nur auf eine entsprechende Absicht zur Dauer des Anstellungsverhältnisses zum Zeitpunkt der Sitzeinbringung beziehen. Nicht klar ist zudem, welche Folgen es haben soll, wenn beispielsweise aus den oben genannten Gründen die Tätigkeitsabsicht letztlich nicht vollständig realisiert wird. Soll dann die Vertragsarztstelle vollständig entfallen oder an den Arbeitgeber zurückfallen? Welche Auswirkungen hat das auf einen zugrunde liegenden Kaufvertrag? Wie wird die Umsetzung der Tätigkeitsdauer kontrolliert?

Festzuhalten ist, dass mit dieser Vorgabe die Verfahren zur Sitzeinbringung erheblich erschwert werden. Künftige Sitzeinbringungsprozesse werden hiernach viel längere und andere Planungsvorläufe erfordern als bisher. Eine Sitzeinbringung kurz vor dem Ruhestand ist hiernach kaum noch möglich. Nicht zuletzt werden grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Beteiligten massiv beeinträchtigt.

Praxistipp

Das Bundessozialgericht hat zwar klargestellt, dass bestandskräftig erteilte Anstellungsgenehmigungen hiervon unberührt bleiben. Unklar ist allerdings, wie die zuständigen Zulassungsausschüsse mit den noch nicht entschiedenen Anträgen nunmehr umgehen und wie sich die künftige Spruchpraxis entwickeln wird. Stichtag für die Bestandskraft der Altfälle dürfte voraussichtlich der Tag der Veröffentlichung des Urteils mit Gründen sein. Laufende Antragsverfahren sollten daher nochmals im Hinblick auf die oben genannten Aspekte geprüft und mit den jeweils zuständigen Zulassungsausschüssen abgestimmt werden.

Ihre 
Tiefenbacher Rechtsanwälte
Team Medizinrecht

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