Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Einführung des „Dritten Geschlechts“

Liebe Leserin,
lieber Leser,

wir melden uns aus dem Urlaub zurück mit einem rechtsgebietsübergreifenden Thema von erheblicher gesellschaftlicher Relevanz. Am 25. August 2018 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personenstandsgesetzes beschlossen. Dieser sieht vor, dass der Standesbeamte künftig neben den Geschlechtsangaben „männlich“ und „weiblich“ als weitere Option „divers“ in das Geburtenregister eintragen kann. Angestoßen wurde der Gesetzesvorschlag durch die wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem letzten Jahr zum „Dritten Geschlecht“ (BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017, Az. 1 BvR 2019/16). Wir möchten den aktuellen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung zum Anlass nehmen, noch einmal die verfassungsgerichtliche Entscheidung nachzuzeichnen und deren Auswirkungen im arbeitsrechtlichen Bereich aufzuzeigen.

Ausgangsfall:

Die Person, die den Fall ins Rollen brachte, wurde bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und als Mädchen in das Geburtenregister eingetragen. Sie verfügt über einen atypischen Chromosomensatz (sog. Turner-Syndrom) und fühlt sich dauerhaft weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig. Sie beantragte die positive Eintragung der Geschlechtsangabe "inter/divers", hilfsweise "divers" in das Geburtenregister. Das zuständige Standesamt lehnte dies ab, weil das Personenstandsrecht dies nicht zulasse. Die beschwerdeführende Person hielt die Regelungen für verfassungswidrig.

Bisherige Rechtslage in Deutschland:

Nach der Geburt eines Kindes ist nach deutschem Personenstandsrecht im Geburtenregister unter anderem dessen Geschlecht zu beurkunden, § 21 Abs. 1 Nr. 3 Personenstandsgesetz (PStG). Das Kind ist entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen. Wenn dies nicht möglich ist, wird das Geschlecht nicht eingetragen, § 22 Abs. 3 PStG.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum „Dritten Geschlecht“:

Das BVerfG kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass die genannten Regelungen des Personenstandsrechts verfassungswidrig sind, weil sie die beschwerdeführende Person in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das das BVerfG aus einer Zusammenschau der Artikel 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 des Grundgesetzes entwickelt hat, schütze diejenigen Elemente der Persönlichkeitsentfaltung, die für die Persönlichkeit konstituierende Bedeutung haben und die nicht bereits von einem anderen Freiheitsgrundrecht geschützt würden. Geschützt werde auch die geschlechtliche Identität, die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit sei. Die Zuordnung zu einem Geschlecht nehme typischerweise eine Schlüsselposition im Selbstverständnis einer Person ein, und beeinflusse ebenfalls, wie die betroffene Person von anderen Personen wahrgenommen werde. Der grundrechtliche Schutz erstrecke sich auch auf die geschlechtliche Identität jener Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen seien.

Dass die §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen, werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass von einem Geschlechtseitrag im Geburtenregister abgesehen werden könne. Durch den offenen Geschlechtseintrag würde nämlich nicht abgebildet, dass sich eine Person, die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnet, zwar nicht als Mann oder Frau, aber auch nicht als geschlechtslos begreife. Die „fehlende Angabe“ erwecke den Eindruck, dass die Geschlechtseintragung lediglich noch nicht geklärt sei oder sogar schlicht vergessen wurde.

Das BVerfG führt weiter aus, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten der Abhilfe zur Verfügung stehen. So könne er auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell verzichten oder zusätzlich zur Option des § 22 Abs. 3 PStG die Wahl einer einheitlichen positiven Bezeichnung eines Geschlechts, das nicht männlich oder weiblich sei, ermöglichen. Art. 1 Ziff. 2 des aktuellen Referentenentwurfs des Bundesinnenministeriums zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben (Stand: 05.06.2018) sieht eine Änderung von § 22 Abs. 3 PStG dahingehend vor, dass der Personenstandsfall – wenn ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann – ohne eine Geschlechtsangabe oder mit der Angabe „weiteres“ in das Geburtenregister einzutragen ist.

Auswirkungen der Entscheidung auf das Arbeitsrecht:

Der Beschluss des BVerfG betrifft auf den ersten Blick nur Regelungen des Personenstandsrechts und man vermutet vielleicht keine direkten Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. Doch verlangt etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), dass Arbeitgeber Bewerber nicht wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität benachteiligen. Da Stellenausschreibungen nach § 11 AGG grundsätzlich keinen Bezug auf die Merkmale des § 1 AGG nehmen dürfen, sind sie geschlechtsneutral auszugestalten. In diesem Zusammenhang muss nunmehr die Klarstellung des BVerfG und des Gesetzgebers auch hier zukünftig berücksichtigen finden. Aktuell diskutiert werden zudem Auswirkungen der „Drittes Geschlecht“-Entscheidung auf die Bereiche Betriebsratswahlen, Entgeltgleichheit, sanitäre Räume und Kleiderordnung und vieles mehr.

Praxistipp:

Bei der Formulierung von Stellenausschreibungen sollte auf eine vollständig geschlechtsneutrale Sprache geachtet werden. Zunehmende Verbreitung finden Wortneuschöpfungen wie „Mitarbeiter*innen“ oder „Mitarbeiter_innnen“, in denen das Sternchen bzw. der Unterstrich für diejenigen Personen steht, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Alternativ dazu kann der Tätigkeitsbezeichnung ein geschlechtsneutraler Zusatz, der auch das dritte Geschlecht berücksichtigt, beigefügt werden. Möglich sind etwa der Zusatz „(m/w/i/t)“, bei dem „i/t“ für „inter-/transsexuell“ steht, oder der Zusatz „(m/w/d)“ nach der Diktion des BVerfG. Der herkömmliche Zusatz „(m/w)“ dürfte dagegen nicht mehr als geschlechtsneutral anzusehen sein. Bei Weiterverwendung desselben drohen Arbeitgebern Ansprüche abgelehnter Bewerber, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind, auf Schadensersatz und/oder Entschädigung.

Bei Fragen rund um das Thema geschlechtsneutrale Stellenausschreibung sowie zu den weiteren Themen in diesem Zusammenhang stehen wir selbstverständlich gerne zur Verfügung.

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