Überstunden sind in der Regel extra zu vergüten!

Die erst jetzt veröffentlichte Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Februar 2012 – 5 AZR 765/10 – hat nunmehr endgültig klargestellt, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, geleistete Mehrarbeit zusätzlich zu vergüten, wenn diese Mehrarbeit den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Vergütungsregelung für Mehrarbeit im Betrieb besteht. Eine entsprechende objektive Vergütungserwartung ist bereits gegeben, wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt bezieht.

Ausgangsfall

Der Kläger war bei einer Spedition als Lagerleiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden beschäftigt und erhielt dafür einen monatlichen Lohn von 1.800 Euro. Laut Arbeitsvertrag sollte der Arbeitnehmer ohne besondere Vergütung bei betrieblichen Erfordernissen zu zusätzlichen Arbeitsleistungen verpflichtet werden können. Diese Mehrarbeit sollte bereits automatisch mit dem Lohn abgegolten sein. Von dieser Möglichkeit machte der Arbeitgeber reichlich Gebrauch. Nachdem sich innerhalb von zwei Jahren insgesamt 968 unbezahlte Überstunden angehäuft hatten, forderte der Mitarbeiter hierfür nachträglich eine Vergütung. Als der Arbeitgeber sich weigerte, verklagte er ihn.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zunächst abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hinsichtlich der noch streitigen 968 Überstunden stattgegeben. Das BAG bestätigte diese Entscheidung und gestand dem Kläger einen Anspruch gemäß § 612 Abs. 1 BGB auf Überstundenvergütung zu.

Aus den Urteilsgründen

Der Kläger hat einen Anspruch auf Vergütung von 968 Überstunden in Höhe von 9.534,80 Euro brutto nebst Prozesszinsen.

Bereits nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei der streitigen Klausel um eine von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs.1 BGB. Daher unterliegt die Arbeitsvertragsklausel der sog. Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs.1 Satz 2 BGB. Danach kann sich die zur Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führende unangemessene Benachteiligung aus der mangelnden Klarheit und Verständlichkeit der Bedingung ergeben. Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Es müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.

Eine die pauschale Vergütung von Überstunden regelnde Klausel ist nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, was gegebenenfalls auf den Arbeitnehmer zukommt und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss.

Fehlt eine wirksame Vergütungsregelung, verpflichtet § 612 Abs. 1 BGB den Arbeitgeber, geleistete Überstunden zusätzlich zu vergüten, wenn diese den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten sind. Die Vergütungserwartung ist anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen.

An der objektiven Erwartung einer besonderen Vergütung von Überstunden wird es regelmäßig nur ausnahmsweise dann fehlen, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind oder wenn Dienste höherer Art (z. B. von Architekten, Rechtsanwälten) geschuldet sind oder insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird. Von letzterem Fall wird ausgegangen werden können, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Wer nämlich mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt diese Beitragsbemessungsgrenze (aktuell liegt diese bei 5.600 Euro) überschreitet, gehört – so das BAG – zu den Besserverdienern, die nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden.

Praxistipp für Arbeitgeber

Grundsätzlich ist zu beachten, dass die Frage, ob ein Arbeitnehmer wirklich zum Ableisten von unbezahlten Überstunden verpflichtet ist, am jeweiligen Einzelfall geprüft werden muss. Eine arbeitsvertragliche Klausel, die die Anzahl der unbezahlten Überstunden regelt, ist wirksam, wenn die Verhältnismäßigkeit der Überstunden zum Einkommen noch gewahrt ist.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt wieder einmal, wie wichtig die klare Arbeitsvertragsgestaltung ist, und dass Arbeitsverträge immer wieder überprüft werden müssen.

Unser Arbeitsrechtsteam - acht Fachanwälte für Arbeitsrecht - steht Ihnen gerne zur Beratung zur Verfügung.

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