Führt die unendliche Geschichte der Urlaubsrechtsprechung des BAG und des EuGH zu unendlichen Urlaubsansprüchen?

wir haben Sie in der Vergangenheit schon einige Male über wegweisende Urteile des Bundesarbeitsgerichts (nachfolgend: „BAG“) und des Europäischen Gerichtshofs (nachfolgend: „EuGH“) zu Fragen des Urlaubsrechts informiert. Dieses hat sich seit dem Jahr 2009 unter dem Einfluss des Europarechts aufgrund zahlreicher Entscheidungen des EuGH und des BAG rasant entwickelt. Dabei ging es häufig um die Übertragungszeiträume für nicht genommenen Urlaub (z. B. aufgrund von Arbeitsunfähigkeit) sowie formelle Anforderungen an Arbeitgeber zur Urlaubsgewährung und etwaigen Verfall von Urlaubsansprüchen. Diese unendliche Geschichte geht nun durch eine weitere Entscheidung des BAG (BAG, Urteil v. 20.12.2022, Az.:9 AZR 266/20) in die nächste Runde. Über den Inhalt der Entscheidung und die praktischen Auswirkungen bzw. die praktische Handhabung der Entscheidung möchten wir Sie mit diesem vorweihnachtlichen Newsletter informieren:

Der Beklagte beschäftigte die Klägerin vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto. Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach.

Während das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, sprach das Landesarbeitsgericht der Klägerin 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu. Dabei erachtete das Landesarbeitsgericht den Einwand des Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, für nicht durchgreifend.

Die seitens des Beklagten hiergegen eingelegte Revision hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG fänden die Vorschriften über die Verjährung zwar auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginne bei einer richtlinienkonformen Auslegung jedoch nicht zwangsläufig mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Bereits im Jahr 2018 hatte der EuGH festgehalten, dass Urlaub nur verfallen könne, wenn Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer durch angemessene Aufklärung in die Lage versetzt haben, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen (EuGH, Urt. v. 06.11.2018, Az.: C-684/16). Für die Praxis bedeutete dies, dass Arbeitgeber seit dieser Entscheidung jeden Arbeitnehmer jährlich über die bestehenden Resturlaubsansprüche informieren müssen.

Das BAG geht nun aber noch einen Schritt weiter und bezieht sich auf ein weiteres Urteil des EuGH vom 22.09.2022, in welchem dieser festgelegt hat, dass die Gesundheit von Arbeitnehmern, welche durch das Urlaubsrecht gewährleistet werden soll, dem Interesse an einer Verjährung von Urlaubsansprüchen vorgeht, so dass Urlaubsansprüche nur nach sehr strengen Regelungen verjähren können.

Der Beklagte im vorliegenden Fall habe die Klägerin entsprechend nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG oder eines zulässigen Übertragungszeitraums nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG noch konnte der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt.

Die aktuelle Entscheidung ist daher weitreichender als die Entscheidung aus dem Jahre 2018 und führt zu weiteren Hinweispflichten für Arbeitgeber im Hinblick auf Resturlaubsansprüche von Arbeitnehmern.

Praxishinweis: Bisher liegt zu der hier besprochenen BAG-Entscheidung nur die Pressemitteilung vor, so dass sich aus den in einigen Monaten zu erwartenden Entscheidungsgründen noch Änderungen unserer Empfehlung ergeben können. Festzuhalten ist jedoch, dass zukünftig neben der jährlichen Information an die Arbeitnehmer über Resturlaubsansprüche auch ein Hinweis über die Voraussetzungen aufzunehmen sein dürfte, wann die Resturlaubsansprüche ggf. verfallen/verjähren. Ohne diesen Hinweis droht „Urlaub ohne Ende“.

Ob die in Arbeits- und Tarifverträgen häufig enthaltenen Ausschlussfristen eine Inanspruchnahme der Arbeitgeber in Zukunft verhindern können, bleibt noch offen. Es ist aber davon auszugehen, dass die unendliche Geschichte zur Entwicklung des Urlaubsrechts auch hier weitergeht und in der Zukunft weitere Entscheidungen des EuGH und BAG folgen. Wir halten Sie hierüber selbstverständlich auf dem Laufenden und sagen: Fortsetzung folgt!

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